Alevitische Gemeinde Kassel und Umgebung e.V.

  • Full Screen
  • Wide Screen
  • Narrow Screen
  • Increase font size
  • Default font size
  • Decrease font size

Vier Tore und Vierzig Pforten

E-Mail Drucken

Das islamisch alevitische Wertesystem und die islamisch alevitische Ethik

Die vier Pforten und vierzig Stufen bzw. Ebenen (Dört Kapı Kırk Makam), als Kern des islamisch alevitischen Wertesystems bzw. der islamisch alevitischen Ethik, ermöglichen jedem Menschen zu reifen und somit den „islamischen alevitischen Weg (Yol)“ zur Vervollkommnung zu finden, um seiner Bestimmung auf Erden gerecht zu werden und die Annäherung an Gott zu erreichen. Jede Pforte hat zehn Stufen. Ein wesentlicher Teil dieser Stufen im Alevitentum ist der Bestandteil allgemeingültiger Tugenden, die in der Erziehung und Bildung als Richtziele vorgeschrieben sind. Beim Durchschreiten dieser Pforten kann ein Wegweiser (Rehber) den einzelnen Schüler (Talip/Muhip) dabei unterstützen.

1. Pforte „Şeriat“ (die Ordnung):

Diese Pforte ist lediglich eine äußerliche Voraussetzung für Regeln, die sichtbare Handlungen auf dem mystischen Weg beschreiben. Die 10 Stufen der Ordnung sind wie folgt:

  1. glauben und bezeugen (Glaubensbekenntnis aussprechen)
  2. lernen (Wissenschaft lernen)
  3. Gottesdienst verrichten (dazu gehören beten, fasten u. Almosen geben)
  4. ehrliches legales Einkommen haben
  5. Ausbeutung und Ungerechtigkeit vermeiden
  6. die gegenseitige Achtung von Männern und Frauen
  7. die Ehe suchen (außereheliche Verhältnisse vermeiden)
  8. Fürsorge für andere zeigen
  9. reines Essen zu sich nehmen und für gutes Ansehen sorgen
  10. Gutes wollen und tun

 

2. Pforte „Tarikat“ (der mystische Weg):

Das zweite Pforte wird durch die Initiation (İkrar Töreni) in die islamisch alevitische Gemeinschaft eröffnet. Das Ziel ist dabei, den Sinn des Glaubens zu verstehen und zu erkennen. Die 10 Stufen des mystischen Weges sind wie folgt:

  1. sich dem geistlichen Lehrer (Pir/Mürşit) anvertrauen
  2. sich dem Lernen hinzugeben
  3. auf äußeres Ansehen verzichten
  4. eigenes Ego bremsen und dagegen kämpfen
  5. Achtung haben
  6. Ehrfurcht haben
  7. auf Gottes Hilfe hoffen
  8. sich auf den Weg Gottes begeben
  9. Gemeinschaft bezogen sein, Harmonie zeigen
  10. Menschen, Tiere und Natur lieben, schützen und auf weltliche Güter verzichten

 

3. Pforte „Marifet“ (die Erkenntnis):

Das menschliche Bewusstsein führt zur Erkenntnis der wahren Bedeutung des Menschen. Die Freude über diese Erkenntnis und das Erkennen der Schönheit der Schöpfung, die sich als Einssein von Körper, Emotion, Verstand und Geist offenbart, führt zur Hingabe und Ehrerbietung. In diesem Einssein wird die Selbsterkenntnis zugleich zur Gotteserkenntnis, zur Offenbarung des Weges zu Gott. Die 10 Stufen der Erkenntnis sind wie folgt:

  1. sich gut benehmen und anständig sein
  2. ehrenhaft leben
  3. geduldig sein
  4. genügsam sein
  5. schamhaft sein
  6. freigiebig sein
  7. sich um Wissen bemühen
  8. Ausgewogenheit und Harmonie bewahren
  9. gewissenhaft sein; Fähigkeiten, die nicht (nur) durch die Vernunft zu erreichen sind, sondern durch den Seelenblick (can gözü/gönül gözü) entdecken und   erreichen
  10. Selbsterkenntnis üben

 

4. Pforte „Hakikat“ (die Wahrheit):

Im Zentrum des islamisch alevitischen Glaubens steht der Mensch als Wesen, das sich selbst sucht und erkennen will. Die Einbettung von Wissen des Verstands in das emotionale Wissen des Körpers durch die Musik und Bewegung macht aus dem Wissen des Kopfes ein Wissen des ganzen Menschen. In dieser Ganzheitlichkeit, im Einklang von Gefühlen und Körper, liegt der Schlüssel zur Wahrheit (Selbsterkenntnis). Die 10 Stufen der Wahrheit sind wie folgt:

  1. bescheiden sein, alle Menschen achten und ehren, 72 (alle) Nationen, Völker und Glaubensgemeinschaften als gleichberechtigt anerkennen
  2. an die unzertrennlichen Verbundenheit von Allah, Mohammed und Ali glauben
  3. Sich beherrschen (Hüte deine Hand, Zunge und Lende); nicht lügen, nicht stehlen und nicht gewalttätig werden, keine Untreue in der Ehe begehen
  4. Glaube an die Widerspiegelung Gottes (seyr)
  5. Gott Vertrauen schenken
  6. Austausch und Freude über die Erkenntnis, mit Gott und seiner Gemeinde eins zu sein
  7. Wachsen in dieser Erkenntnis und dabei der Lösung des Geheimnisses Gottes näher kommen
  8. Einklang mit dem Willen Gottes zeigen
  9. sich ins Nachsinnen über Gott versenken
  10. das Herz von der Sehnsucht nach Gott erfüllen zu lassen und das Geheimnis Gottes lösen (münacat und müşahede)